EHC Dortmund
Gentges und Finkenrath über Dortmunder Missstände
Von Benjamin Blum und Sascha Fligge am 22. Oktober 2009 17:19 Uhr
DORTMUND Ein Traumstart mit vier Siegen aus fünf Spielen – höchste Zeit, EHC-Trainer Frank Gentges und Schlussmann Benjamin Finkenrath zum Redaktionsgespräch einzuladen. Die beiden sprachen in aller Offenheit über organisatorische Missstände in Dortmund und das nahende Duell mit dem Ruhrpottrivalen Herne.
Redet im Interview Klartext: EHC-Trainer Frank Gentges.
Foto: Menne
Dortmund bezeichnet sich selbst gern als „Sportstadt“. Was hält die Eishockey-Fraktion von diesem „Titel“?
Frank Gentges: Die Stadt-Verantwortlichen sind die einzige Enttäuschung, die ich hier bisher erlebt habe. Der Vorstand unseres Klubs gibt sich die größte Mühe, aber wir sind auf die Entscheidungsträger bei der Stadt angewiesen. Ich weiß ja nicht, ob die im Dornröschenschlaf liegen oder einfach nicht wollen – aber es tut sich nichts auf dem Gebiet Eishockey.
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Wir denken da vor allem an das Thema Eiszeiten ...
Gentges: Das ist es, worauf es ankommt. Wir spielen ja nicht gut, weil der VIP-Raum klasse ist oder die Brötchen schön belegt worden sind. Wir definieren uns über kontinuierliche Arbeit. Dafür braucht man eine Kabine, ausreichende Eiszeiten und Möglichkeiten zum Training abseits des Eises. Diese Dinge sind alle nicht da.
Viele Ihrer Spieler leben vom Eishockey. Wenn wir Sie richtig verstehen, taugen die Voraussetzungen aber nicht zum Profitum. Korrekt?
Gentges: Definitiv. Ich habe damals unter der Voraussetzung in Dortmund zugesagt, dass ich die gleichen sportlichen Rahmenbedingungen habe wie die anderen Mannschaften der Liga. Aber wir sitzen mit 25 Leuten in einer Kabine, die nur für 18 gedacht ist. Und weil wir außerhalb des Eises nicht vernünftig trainieren können, versuchen wir es im Parkhaus.
Im Parkhaus?
Gentges: Wo sonst? Im Stadion finden sie keine zwei Meter am Stück, die eben sind. Wenn wir auf den Rängen trainieren, steht die fahrbare Pommesbude im Weg, alles ist voller Moos und glitschig. Oder nehmen sie unsere Kabine: Kein Fenster, das Wasser tropft von der Decke, wenn das Eis gemacht wird. Da hängen Plastikbecher drunter, damit nicht permanent alles nass wird.
Was sagen Sie als Spieler zu den Missständen?
Benjamin Finkenrath: Viele sind andere Umstände gewohnt. Unsere Ex-Dresdner haben in einer nagelneuen Arena gespielt. Und selbst als ich in Neuwied unter Vertrag stand, wo die Halle katastrophal war, waren die Kabinen in Ordnung. Mal ganz abgesehen davon, dass es in anderen Städten die Hobby-Teams sind, die so spät trainieren müssen, dass sie um 23.30 Uhr aus der Halle kommen.
Gentges: Es kommt sogar vor, dass man uns eine Trainingszeit am Samstag um 7 Uhr morgens anbietet – dabei kommen wir um diese Uhrzeit gerade erst von einer der mehr als 20 Touren nach Süddeutschland zurück. Stellen sie sich das mal vor: Wir gehen nach dem Training zum Duschen – und da stehen plötzlich achtjährige Mädchen neben uns unter der Dusche. Dann kommt eine Mutter rein und schreit: „Da sind ja erwachsene Männer!“ Ja, was machen die Kinder denn dort? Wir müssen doch nach dem Training duschen! Ich reibe mich hier an so vielen Fronten auf, ich kriege noch einen Herzinfarkt.
Dass Ihr Team im Moment so weit oben steht, ist also ein kleines Wunder?
Gentges: Ein Wunder ist das nicht. Ich habe die Mannschaft mit dem kleinen Etat zusammengestellt – und es ist kein Fehleinkauf dabei. Ich beschwere mich ja nicht, dass ich weniger Geld als andere habe – sondern nur, weil ich zu wenig trainieren kann. Ich habe noch nie eine Stadt gesehen, in der es mehr öffentliche Laufzeiten im Eisstadion gab als in Dortmund.
Herr Finkenrath, sie sind 23, wollen langfristig in die Top-Ligen. Da können Ihnen drei Trainingseinheiten pro Woche doch nicht reichen, oder?
Finkenrath: Als Torwart ist das Training wichtig, aber die Spiele sind noch wichtiger, um sich zu entwickeln. Im Training hole ich mir die Sicherheit und Fitness, aber der Fokus liegt auf der Liga.
Und wie stehen seine Chancen, gegen Herne zu spielen?
Gentges: Wir haben Benjamin als Keeper Nummer 1 verpflichtet, aber es liegt an ihm. Da können Parameter eine Rolle spielen, die man vorher nicht berechnen kann – so wie seine Verletzung. In solchen Situationen hoffe ich dann, dass der zweite Torwart seine Chance nutzt.
Er hat sie ja genutzt.
Gentges: Für die Erwartungen, die ich an den Torwart hatte, war es okay. Aber unser Keeper war bisher noch in keinem Spiel besser als der Torwart auf der Gegenseite – und das ist mein Maßstab.
Vergleicht man die Revier-Rivalen Dortmund und Herne, sind vor allem die finanziellen Unterschiede groß.
Gentges: Die haben vier Top-Reihen. Da gibt es Spieler, die im letzten Jahr 100 Punkte in der Liga erzielt haben oder in der DEL waren wie Burym oder Bader. Herne ist der FC Bayern der Eishockey-Oberliga. Aber das Spiel ist noch nicht gespielt.
Eines Ihrer Steckenpferde, Herr Gentges, ist die Jugendarbeit. Was halten Sie denn vom deutschen Nachwuchs?
Gentges: Die Jugendlichen sind heute weicher als Knetgummi. Von 100 deutschen Spielern hat einer Charakter.
Woran fehlt es den Talenten?
Gentges: Viele Spieler haben ein zu kleines Herz. Leistungssport kommt von Leistung – aber wir leben hier ja längst nicht mehr in einer Leistungsgesellschaft, sondern in einer Erlebniswelt. In der Schule werden die Guten wie Aussätzige behandelt. Und wenn Deutschland gegen Finnland Fußball spielt, steht auf der ersten BILD-Seite am nächsten Tag ein Text darüber, wie das x-te Kind von Heidi Klum heißt. Ja wen interessiert das?
Finden Sie sich mit 23 in dieser Beschreibung wieder?
Finkenrath: Was der Trainer angesprochen hat, sehe ich bei mir nicht. In den letzten Jahren habe ich mir immer wieder den Nummer-1-Status erkämpft. Und weil ich in noch höheren Ligen spielen und mehr verdienen möchte, werde ich mehr leisten.